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Herausgabe der Werke von Johannes Kepler

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Harmonie der Welt

Harmonices Mundi libri V (Fünf Bücher über die Weltharmonik)
EA Linz 1619; dt. Mchn./Bln. 1939 KGW Bd. VI, 1940

Die Weltharmonik, von pythagoreisch-platonischen Harmonievorstellungen beeinflusst, ist das an das Mysterium Cosmographicum anknüpfende philosophische Hauptwerk Keplers. Es setzt sich mit naturphilosophischen und mathematischen Lehren seiner Zeit auseinander und gibt von allen Werken Keplers den tiefsten Einblick in seine Weltsicht. Zwei Momente sind für die Zielvorstellung des axiomatisch aufgebauten Werkes bestimmend: Das System der Platonischen Körper als grobe Annäherung an die Gestalt der Welt (forma mundi) und das ästhetische Prinzip der Harmonien, das den kosmologischen Bauplan erst zu entschlüsseln gestattet. Die nähere Ausarbeitung dieser Prinzipien erfolgt in den fünf Büchern des Werkes in aufeinander bezogenen und auseinander hervorgehenden Stufen.

  • Das 1. Buch, das „Geometrische Buch”, erörtert die Geometrie der bewusst konstruierbaren Vielecke als mathematische Grundlage. Konstruierbar sind für Kepler geometrische Figuren, wenn sie mit Hilfe von Zirkel und Lineal aus Kreisteilungen ohne arithemtische Rechenmittel entwickelt werden können.
  • Im 2. Buch, dem „Architektonischen oder dem auf der figürlichen Geometrie beruhenden Buch”, untersucht Kepler die Kongruenz der „harmonischen Figuren”. Damit wird der Fragestellung nachgegangen, inwieweit reguläre Figuren die Ebene um einen festen Punkt herum lückenlos ausfüllen oder geschlossene Raumfiguren bilden können. Bei den räumlichen Kongruenzen führt Kepler zwei Sternpolyeder ein, die er in Fortsetzung der Reihe der fünf Platonischen Körper als vollkommene reguläre Kongruenzen auffaßt.
  • Das 3. Buch, das „Harmonische Buch”, behandelt die eigentliche Harmonielehre mit der Erörterung der harmonischen Proportionen, hauptsächlich in Bezug auf die Teilungen des Kreises und des Monochords.
  • Im 4. Buch, dem „Metaphysischen, Psychologischen und Astrologischen Buch”, setzt sich Kepler mit den harmonischen Konfigurationen der Gestirnsstrahlen und deren Einwirkungen auf die sublunarische Natur und die menschliche Seele auseinander. In Übereinstimmung mit Proklos erkennt Kepler die wechselseitige Abhängigkeit von Mathematik und Erkenntnisvermögen, von mathematischen Begriffen und menschlicher Seele.
  • Das 5. Buch, das „Astronomische und Metaphysische Buch”, führt schließlich zu den Harmonien in den Himmelsbewegungen und damit zum konzeptionellen Höhepunkt des Werkes. Bei der Suche nach dem vollkommenen Urbild, das aus den harmonischen Proportionen der regulären ebenen und räumlichen Figuren geformt ist, gelangt Kepler zu seinem nach harmonischen Verhältnissen strukturierten kosmologischen System. Die Beziehungen zwischen den Umlaufszeiten und den Bahnhalbmessern der Planeten (drittes Keplersches Gesetz) stellt als harmonisches Prinzip der Planetenbewegung gegenüber dem Modell der Grobeinschaltung der fünf Platonischen Körper für Kepler den eigentlichen Schlüssel zur Harmonie des Kosmos, zum Weltgesetz dar. Über die traditionsgebundenen ideengeschichtlichen Voraussetzungen hinausgehend, besitzt das Werk eine philosophiegeschichtliche vielfach als Mystizismus denunzierte naturphilosophische Sichtweise, die mit der Idee der Harmonie eine einheitliche Erklärung der Naturvorgänge vorgelegt hat.


Großes Werklexikon der Philosophie, hrsg. von Franco Volpi. 2 Bände. Bd. 1: A-K. Stuttgart: Kröner 1999. Artikel zu Johannes Kepler von Volker Bialas. Auszug aus: „Harmonices Mundi libri V”: S. 822 f.